Fossiler Stier
Goethe beschäftigte sich über 40 Jahre lang mit Versteinerungen oder »Petrefakten«, wie er selbst die Reste aus der Vorzeit nannte. Am 1. Juni 1821 schickte ihm Großherzog Karl August ein »Ochsen-Skelet aus dem Torf Moore bei Haßleben«. Goethe hielt den »neuen Knochenfund« für sehr bedeutend. Ein gleichzeitig eintreffender Aufsatz von Georg Friedrich Jäger über ähnliche Funde aus Stuttgart regte Goethe zu einer vergleichenden Betrachtung an.
Goethe, der auch die Oberaufsicht über die Jenaer zoologischen Sammlungen hatte, sandte das Skelett nach Jena und schrieb am 18. Juli 1821 an Johann Michael Färber, den damaligen Museumsschreiber:
»Da Serenißimus bey höchst Ihrer Rückkunft erwarten das in den Torfgruben bey Haßleben gefundene, und nach Jena transportierte Stiergerippe aufgestellt zu finden, so erhält hiermit der Museumsschreiber Färber, so wie Dr. Klemm den Auftrag, ungesäumt an die Arbeit zu gehen, und zwar so: daß ersterer, was sowohl an Tischler und Schlößerarbeit hierzu nöthig seyn möchte, bestelle und einleite, letzterer ohne Aufenthalt die fehlenden Theile schnitze, und zwar nach dem Gegenstück, wenn sich solches findet; oder nach der Analogie unserer Hausthiere, wenn beide fehlen sollten.« Die damals vorgenommenen Ergänzungen sind noch heute an der Fuß- und Handwurzel zu sehen.
Goethe freute sich über die »Förderung des Skelets« (25.7.1821) und sein Sohn J.A. Goethe darüber, »dass Se. Königl. Hoheit höchst Ihre Zufriedenheit über die Aufstellung des Scelets und über das Osteologische Museum bezeugt haben« (6.9.1821). Im Juli 1821 hatte Goethe eine Nachsuche im Haßlebener Torfmoor veranlasst und »beinahe die kompletten Reste des da selbst gefundenen Stieres entdeckt« und nach Jena gebracht. Goethe besorgte sich den Schädel eines ungarischen Stieres und bezog in den Vergleich auch einen kurz zuvor von F.H.W. Körte beschriebenen Schädel eines fossilen vogtländischen Stieres ein. Darüber hinaus beschaffte er sich eine »Ochsenhörnerzügelmaschine«, mit der dem Wuchs der Hörner »die beliebige Richtung« gegeben werden kann. Die Niederschrift des Aufsatzes »Fossiler Stier« erfolgte Ende April 1822.
Die unterschiedlichen Zeugnisse belegen das große Interesse, das für Goethe aus dem Fund von Haßleben entstand. Erstmals ist in diesem Aufsatz ein Entwicklungsgedanke spürbar. Knapp 40 Jahre vor Darwins »Origin of Species« erwächst auch Goethes Gedanke aus Überlegungen zur Veränderbarkeit von Strukturen bei der Domestikation. Der Landmann, der das Nützliche und das Schöne verbinde, verlange auch eine regelmäßige Bildung der Hörner, und darin bestehe der größte Unterschied zwischen Urstier und heutigen Tieren. Die Veredelung der Natur durch den Menschen bezeugt die Idee der Höherentwicklung. »Wenn wir nun aus dem vorigen gesehen haben, daß die Natur aus einer gewissen ernsten, wilden Konzentration die Hörner des Urstiers gegen in selbst kehrt, und ihn dadurch der Waffe gewissermaßen beraubt, deren er in seinem Naturzustand so nötig hätte, so sahen wir zugleich, daß im gezähmten Zustand eben diesen Hörnern eine ganz andere Richtung zuteil wird, indem sie sich zugleich aufwärts und auswärts mit großer Eleganz bewegen«.