Genealogien Arbeiten von Uli Westphal

4. Juni – 11. Oktober 2009

Die Werke des Berliner Künstlers Uli Westphals haben einen starken Bezug zur Biologie und ihren Ordnungssystemen, setzen jedoch eigene Schwerpunkte. Beispielsweise zeigt Westphal nicht die Stammesgeschichte der Elefanten, sondern die Entwicklung ihrer Darstellungen. Auf diese Weise stehen die Arbeiten in einem Dialog zwischen Mensch, Kultur und Wissenschaft. Westphal stellt die Frage, wie Natur in diesen unterschiedlichen Kontexten wahrgenommen, dargestellt und begriffen wird. Seine Arbeiten entstehen aus Sammlungen, Simulationen, Animationen und Klassifikationssystemen. Diese basieren zwar auf wirklich existierenden Naturphänomenen, erzählen jedoch vor allem von der Entwicklung menschlicher Vorstellungen über die Natur. Eine Besonderheit der Sonderausstellung ist die Einbettung von drei Arbeiten Westphals in die Daueraustellung des Museums.

Die Arbeit Elephas Anthropogenus untersucht, welches Bild vom Elefanten sich Westeuropäer im Laufe der Geschichte gemacht haben. Da man während des Mittelalters kaum Elefanten aus eigener Anschauung kannte, musste man sie mit Hilfe bestehender Überlieferungen morphologisch rekonstruieren – also ein real existierendes Tier neu erfinden. Dies führte zu Illustrationen, in denen die wesentlichen Merkmale eines Elefanten noch sichtbar sind, die ansonsten jedoch völlig vom realen Aussehen und Körperbau dieses Tieres abweichen. Basierend auf einer Sammlung solcher Abbildungen rekonstruiert die Arbeit die Entwicklungsgeschichte des Elephas Anthropogenus, des vom Menschen erdachten Elefanten. Das Resultat ist ein genealogisches Baumdiagramm, in dem das Bildmaterial nach taxonomischen Aspekten eingeordnet wurde. Westphal verwendet hier die Bildsprache der Naturwissenschaften um der Entwicklungsgeschichte eines kulturellen Naturbildes eine visuelle Form und Struktur zu geben.

Die Arbeit Mutatoes setzt sich mit zeitgenössischer Naturwahrnehmung auseinander. Das Mutato-Archiv ist eine umfangreiche photographische Sammlung nicht-standardisierter Früchte, Gemüse, Knollen und Pilze. Nutzpflanzen haben sich, vor allem durch die Industrialisierung der Landwirtschaft, zu Organismen entwickelt, deren Morphologien von gesellschaftlichen Schönheitsidealen geprägt sind. Wir haben heute ein klar definiertes Bild davon, wie zum Beispiel ein Apfel oder eine Tomate auszusehen hat, und wir begegnen Variationen und Abweichungen von dieser eingeprägten Norm meist mit Misstrauen. Westphal verwendet das Wort Mutato als Sammel-Begriff für all jenes Obst und Gemüse, das diesen optischen Richtlinien widerspricht. Durch das Zusammenfassen dieser Exemplare in einer Sammlung werden die strengen Grenzen sichtbar, die der Mensch zwischen Kulturform und Wildwuchs gezogen hat. Das Mutato-Archiv soll an jene Formenvielfalt erinnern, die durch diese Abgrenzung in Vergessenheit gerät und letztendlich zu verschwinden droht.

Die Arbeit Coleoptera ist eine Animation, die durch die schnelle Abfolge von über 2000 Silhouetten unterschiedlicher Käferarten entsteht. Die einzelnen Käfer-Silhouetten sind so angeordnet, dass durch die leichten Unterschiede in ihrer Körperform ein fließender Übergang entsteht. Aus den verschiedenen Arten wird so ein einziger, jedoch permanent transmutierender Organismus. Käfer bilden die größte Gruppe der Insekten und machen ca 25% aller beschriebenen Spezies aus. Die Arbeit Coleoptera versucht die Unermesslichkeit dieses Artenreichtums begreifbar zu machen. Sie bedient sich dabei jedoch einer rein visuellen und daher eher subjektiven Klassifikation. Coleoptera entstand in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Künstlerin Kristen Cooper.

Die Arbeit Chimaerama ist eine Art Zufallsgenerator, in dem hundert viktorianische Tierillustrationen, in jeweils drei Segmente zerteilt, zu einer Million neuer Kreaturen kombiniert werden. In einem 22-stündigen Film laufen diese Kombinationen mit einer Rate von 12,5 Bildern pro Sekunde. Über einen Schalter lässt sich dieser Bilderfluss jedoch anhalten – ähnlich wie bei einem Casino-Spielautomaten – und die in diesem Moment entstandene Chimäre wird sichtbar.

Die Arbeit referiert sowohl auf zoologische, als auch auf wissenschaftshistorische Zusammenhänge: In früheren Jahrhunderten wurden neu entdeckte Tierarten oft durch eine Kombination der Körperteile bereits bekannter Arten beschrieben. So beschrieb man z.B. einen Seelöwen als „aalhäutigen Hund mit Gänsefüßen“. Als Zufallsgenerator neuartiger Lebewesen befasst sich diese Arbeit auch mit der evolutions-treibenden Kraft der Kreuzung: Denn die ständige Neu-Kombination von Erbgut bildet einen Hauptbestandteil evolutionärer Prozesse.

In Westphals Arbeiten wird deutlich, dass der Drang die Welt zu gliedern, Dinge zu klassifizieren und sie zu Ordnungssystemen und Familien zusammenzufassen, nicht nur eine Eigentümlichkeit der Naturwissenschaften ist. Diese Mechanismen helfen dabei die Komplexität der Welt begreifbar zu machen und sie in überschaubare Einheiten aufzuteilen. Sie können daher auch in kulturellen Kontexten als erkenntnisbringende Werkzeuge eingesetzt werden. Jedoch bleiben diese Systeme künstliche Konstruktionen, deren Form abhängig ist von der Bedeutung und Funktion, die wir ihnen zuordnen. Westphals Arbeiten betten sich hervorragend ein ins Phyletische Museum, das seit der Gründung durch Ernst Haeckel im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Kunst steht.

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